Pressemeldung | Feminismus als Feindbild – Reaktionäre Argumente erkennen und entkräften

In Rundfunk, Fernsehen und Zeitungen, aber auch im Alltag wird Feminismus wieder kontrovers verhandelt; emanzipative Familien- und Lebensmodelle, Gleichstellungspolitik und Gender Studies werden verstärkt angegriffen. Unter dem Vorwand der Meinungsfreiheit finden sexistische Positionen und Diskriminierung wieder Anstoß in unserer Gesellschaft und sind damit Ausdruck eines politischen Klimas, das sich immer weiter nach rechts verschiebt.

In den letzten Wochen haben wir uns in den Sozialen Medien deshalb intensiv mit antifeministischen Denk- und Argumentationsweisen beschäftigt und versucht, aufzuzeigen, wie sie zu erkennen und auch zu widerlegen sind. Die fertige Reihe »Feminismus als Feindbild – Reaktionäre Argumente erkennen und entkräften« gibt’s nun auch hier auf unserer Website.


01. These: Feminismus ist Männerhass.

Wer sagt denn sowas?

»Im Grunde sind wir die wahren Frauenrechtler, weil wir im Hier und Jetzt an der Verbesserung der Lebensumstände von Frauen arbeiten und nicht an Männerhass, Sprachkontrolle und Umdefinitionen von Problemen interessiert sind. Wir wollen eine solidarische Gemeinschaft, keinen Geschlechterkampf.« — Lisa, Aktivistin der rechtsextremen Identitären Bewegung, im Interview mit Marc Dassen, Compact 2/2017, S. 15.

Wieso ist die These falsch?

Feminismen sind vielfältig und heterogen, doch ihr Kernanliegen ist der Kampf für mehr Geschlechtergerechtigkeit, d. h. es geht um Menschenrechte und Menschenwürde für alle, unabhängig ihres (zugeschriebenen) Geschlechts oder Begehrens. Oder umgekehrt: Der Kampf gegen systemische und strukturelle Diskriminierung und Unterdrückung aufgrund von Geschlecht (und Begehren) ist ein zentrales feministisches Projekt.

Aufgrund der weitverbreiteten patriarchalen Gesellschaftsstrukturen ging es historisch konkret oft um Frauen*rechte (Recht auf Bildung, Recht zu wählen, Recht auf Scheidung, reproduktive und sexuelle Selbstbestimmung u.v.a.), aktuell in Deutschland zuletzt aber z. B. auch um eine ‚Ehe für alle‘ oder den Eintrag „divers“ als dritte Geschlechtsoption in amtlichen Registern. Viele feministische Bewegungen beschäftigen sich heute v. a. mit Sexismus, d. h. Ausgangspunkt ihrer Kämpfe ist die Diskriminierung aufgrund von Geschlechtszuweisung an sich, nicht bloß die Zuweisung als ‚Frau‘.

Es geht also nicht um einen ‚Hass‘ auf Männer, es wird vielmehr argumentiert, dass alle Menschen von mehr Geschlechtergerechtigkeit profitieren. Viele feministische Kämpfe sind außerdem intersektional, d. h. in unterschiedlicher Weise verbunden mit Kämpfen gegen weitere Formen von Diskriminierung, Unterdrückung und Ausbeutung wie bspw. Rassismus oder Kapitalismus.

Der Vorwurf des ‚Umdefinieren von Problemen‘ soll v. a. strukturelle Probleme wie Sexismus oder Rassismus unsichtbar machen und Kämpfe dagegen delegitimieren. Der Vorwurf der ‚Sprachkontrolle‘ richtet sich gegen das Ringen um geschlechtergerechte Sprache: Dass Sprache Wirklichkeit (er)schafft, ist Konsens in kritischen Sozial- und Geisteswissenschaften, die ‚Anti-Genderisten‘ seit jeher bekämpfen.

Die Amadeu Antonio Stiftung warnt: „Die Verschärfung einer antifeministischen und frauenverachtenden gesellschaftlichen Stimmung, Gegendiskurse zur Gleichstellung von Mann und Frau sowie genderbezogene Aggressionen müssen im Blick behalten werden und als das bezeichnet und bekämpft werden, was sie sind: demokratiefeindlich.“

02. These: Jungen sind die neuen Bildungsverlierer.

Wer sagt denn sowas?

»Im deutschen Schulsystem werden Jungen benachteiligt. Das Bekanntwerden dieser sozialen Tatsachen ist natürlich ein Dorn im Auge der Genderisten, die von Ministerien finanziert werden, um die erfundenen Nachteile von Mädchen zu bekämpfen.« — Michael Klein, "Pädagogen lügen: Wie Bildungsnachteile von Jungen aus der Welt geredet werden sollen", Artikel aus dem antifeministischen Blog Sciencefiles vom 28.03.2017.

Wieso ist die These falsch?

Antifeminist*innen behaupten, institutionelle Förderung für mehr Geschlechtergerechtigkeit habe zu einer Benachteiligung von Jungen und Männern geführt. Sie bekämpfen daher Gleichstellungsmaßnahmen und leugnen strukturelle Diskriminierungen von Frauen*.

Richtig ist, dass die Verteilung auf unterschiedliche Schultypen in Deutschland im Durchschnitt zum Nachteil von Jungen erfolgt, d.h. mehr Mädchen besuchen Gymnasien, mehr Jungen Haupt-und Förderschulen. Die Ursache(n) liegen jedoch nicht in Gleichstellungsmaßnahmen. Eine Metastudie der GEW zeigt, dass Benachteiligungen in der Schule vor allem verbunden sind mit den Faktoren Armut, Bildungsgrad und Migrationsgeschichten der Eltern. Das bedeutet, Unterschiede innerhalb der Geschlechter sind viel größer als zwischen Jungen und Mädchen.

Nach der Schule zeigt sich dann ein deutlich struktureller Nachteil für Frauen*. Sie verdienen schon während der Ausbildung weniger und arbeiten auch anschließend unter schlechteren Bedingungen: Sie bekommen durchschnittlich 21% weniger Gehalt und haben um 53% geringere Rentenansprüche. Ganz zu schweigen von der unbezahlten Arbeit – der sog. ‚Gender Care Gap‘ beträgt 52% Prozent, in Beziehungen mit Kindern sogar 83,3%.

Die Ursache für den vermeintlichen Bildungsnachteil in der Schule sehen Antifeminist*innen bei Frauen* und Frauen*bewegungen: In Debatten um sog. ‚Feminisierung‘ der Schulen werfen Antifeminist*innen weiblichen Lehrkräften pauschal vor, Jungen und Männer zu diskriminieren sowie Jungen in ihrer hegemonialen ‚Männlichkeit‘ nicht anzusprechen und zu stärken; und bekämpfen letztlich einen (sehr undifferenzierten und eindimensionalen Begriff von) Feminismus bzw. angeblich ‚weibliche‘ Pädagogik.

Die GEW-Studie stellt jedoch ebenfalls fest, dass es keinen nachweislichen Zusammenhang gibt zwischen den Schulleistungen der Jungen und der überwiegenden Anzahl an weiblich sozialisierten Lehrkräften. Geschlechtsspezifische Leistungsunterschiede (klassisches Beispiel: Lesen vs. Rechnen) entstehen v.a. durch geschlechtsspezifische Interessenförderung außerhalb der Schule sowie durch geschlechtsstereotype Darstellungen in Unterrichtsmaterialien – und somit auch vor allem im Verlauf des Schulbesuchs. Richtig ist, dass gerade an Kitas und Grundschulen v.a. Frauen* tätig sind, nur die wenigen Leitungs- und Entscheidungsfunktionen sind überproportional von Männern besetzt.

Für mehr Bildungsgerechtigkeit braucht es eine geschlechterreflektierende Pädagogik, die gerade die Verwobenheit unterschiedlicher Diskriminierungsformen und -erfahrungen aufgreift. Eine Jungenpädagogik sollte vielfältige Bilder von ‚Männlichkeit‘ vermitteln; Identitätsentwürfe, Lebens- und Berufsvorstellungen jenseits von Erfahrungen in den Herkunftsfamilien müssten sichtbar und besprechbar werden. In geschlechtshomogenen Räumen sollten nicht nur Kampf- und Konkurrenzangebote, sondern v.a. Kooperation, soziales Miteinander, Selbstreflektion und Fürsorge im Fokus stehen. Von einem Zuwachs an Männern mit geschlechterreflektierenden Kompetenzen in erzieherischen (und übrigens auch in sozialen, pflegenden) Berufen würden alle Kinder und Jugendlichen profitieren.

03. These: Feminismus zerstört die Familie.

Wer sagt denn sowas?

»Wir brauchen kein Gender-Mainstreaming – Wir brauchen Familien-Mainstreaming! Nur so können wir mit der Gnade Gottes den Weg von einer Kultur des Todes zu einer Kultur des Lebens finden.« — Gabriele Kuby, am 4. Internationalen Kongress Treffpunkt Weltkirche in Würzburg, 19.03.2011.

Wieso ist die These falsch?

Antifeminist*innen fordern nicht nur ein Ende der Gleichstellungspolitik – sie fordern stattdessen eine Förderung der ‚Familie‘. Mit diesem Gegensatz suggerieren sie, dass Maßnahmen für mehr Geschlechtergerechtigkeit zwangsläufig zu einer Benachteiligung an einer anderen Stelle führen müssen – in diesem Fall ‚der‘ Familie. Doch welche ‚Familie‘ sehen Antifeminist*innen hier in Gefahr?

Es geht um die strukturell bereits privilegierteste Form der Partner*innen- und Elternschaft überhaupt: um die Ehe zwischen einem heterosexuellen cis-Mann und einer heterosexuellen cis-Frau sowie ihrer gemeinsamen, biologischen Kinder, kurz: ‚Vater-Mutter-Kind‘.

Es geht demnach also gar nicht um Förderung von Familien, sondern um die Deutungshoheit darüber, wer Familie sein darf – und wer nicht. Alleinerziehende/Ein-Eltern-Familien, homosexuelle Eltern/Regenbogenfamilien, soziale Elternschaft, Co-Elternschaft, Patchworkfamilien, Adoptivfamilien und andere Beziehungs- und Familienmodelle jenseits der heterosexuellen und zweigeschlechtlichen Norm sollen in ihren Lebensweisen eingeschränkt, von der Gesellschaft ausgeschlossen, systemisch und strukturell (weiter) benachteiligt werden. Die Forderung nach einer Stärkung von Familien meint somit eigentlich eine Einschränkung von Menschen in ihrer Würde, ihren Rechten und Freiheiten.

Gestärkt werden dadurch wiederum die Normen der Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität, die damit verbundenen traditionellen Geschlechterrollen und die sich daraus ergebende Arbeitsteilung: letztlich geht es um den Erhalt eigener Privilegien in einer ungerechten Gesellschaft. Doch nicht nur das: die ‚traditionale‘ Familie (Vater-Mutter-Kinder) wird außerdem als Kern oder ‚Keimzelle‘ der Nation rassistisch bestimmt: Sie muss ‚deutschstämmig‘ sein, damit ‚deutsche‘ Kinder das Bestehen der ‚Volksgemeinschaft‘ sichern. Hier zeigt sich, wie stark antifeministische und rassistische Denk- und Deutungsmuster miteinander verschränkt sind und sich vor allem gegenseitig verstärken.

04. These: Vielfaltssensible Sexualpädagogik ist Frühsexualisierung und Kindesmissbrauch.

Wer sagt denn sowas?

»Was hier an deutschen Schulen unter dem Deckmantel „progressiver“ Sozialwissenschaft und „Vielfalt“ an Praktiken zur Frühsexualisierung von Kindern Einzug erhält, könnte als Anleitung zum Kindesmissbrauch verstanden werden.« — Frauke Petry, Facebook-Post vom 15. Oktober 2014.

Wieso ist die These falsch?

Zunächst impliziert der antifeministische Kampfbegriff ‚Frühsexualisierung‘, dass eine (Sexual-)Pädagogik der Vielfalt Kinder (zu) früh zu sexuellen Handlungen anregen will. Eine weitere Strategie besteht darin, ‚Kindeswohl‘ gezielt in Stellung zu bringen gegen Forderungen für mehr Geschlechtergerechtigkeit wie bspw. die Gleichstellung homosexueller Partner*innenschafften.

Eine Pädagogik der Vielfalt hat jedoch zum Ziel, Kinder und Jugendliche in einem altersgerechten und selbstbestimmten Umgang mit ihren Gefühlen und Körpern, Bedürfnissen und Grenzen zu unterstützen. Zudem soll die gesellschaftliche Vielfalt an Geschlechtsidentitäten, Beziehungsweisen, Familienmodellen, – und ja, auch die des sexuellen Begehrens – als gelebte Realitäten sichtbar und besprechbar gemacht werden. Damit leistet vielfaltssensible Sexualpädagogik einen unverzichtbaren Beitrag gegen die Diskriminierung von Trans*, Inter*, Lesben, Schwulen, Asexuellen, Bisexuellen, Pansexuellen und Queers.

Antifeminist*innen ‚befürchten‘ dagegen, ihre Kinder könnten durch vielfaltssensible Sexualpädagogik z.B. zur Homosexualität ‚verführt‘ werden – und positionieren sich damit selbst als homo-feindlich. Sie streiten stattdessen für die Vermittlung ‚traditioneller‘ d.h. heteronormativer, auf Zweigeschlechtlichkeit beschränkte Familien- und Rollenbilder. Antifeminist*innen wollen festlegen, welche Arten der Zuneigung und des Zusammenlebens‚ der Reproduktion und der Sorge, der Beziehungen und der Berührungen ‚normal‘ ist – und wer gesellschaftlich stigmatisiert, ausgegrenzt und unterdrückt gehört.

Diese ‚Norm‘ orientiert sich an (rechts)konservativen, christlich(fundamentalistischen) Werten bis hin zu völkisch-neonazistischen Ideologien.

05. These: Hetero ist das neue Schimpfwort.

Wer sagt denn sowas?

»Wenn es so weitergeht, wird wohl in absehbarer Zeit in unseren Schulen das Wort „Hetero“ als Bezichtigung verwendet. Denn wer nicht wenigstens bisexuell ist, gerät angesichts der Gender-Offensive demnächst mit seinem traditionellen heterosexuellen Geschlechtstrieb unter Rechtfertigungsdruck.« — Gender mich nicht voll! Ein Stoßseufzer von Birgit Kelle, FOCUS Magazin, Nr. 10, 2015.

Wieso ist die These falsch?

Hier findet sich eine in antifeministischen Debatten vielverwendete Denkfigur: Die reale Benachteiligung von Minderheiten wird umgedeutet in die vermeintliche Bedrohung einer ‚Mehrheit‘. Aber wie kann eine Forderung nach Schutz, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung bedrohlich sein?

Die Bedrohung liegt im möglichen Verlust eines normativen, privilegierten und machtvollen Status. Um das zu vermeiden, wird die Vielfalt geschlechtlicher Identitäten und sexuellen Begehrens geleugnet, diskriminiert und unterdrückt. Diese undemokratische und menschenverachtende Position wird dann als ‚Sorge‘ oder ‚Angst‘ salonfähig. Eine ähnliche Argumentationslogik verfolgt die These, dass institutionalisierte Gleichstellungsmaßnahmen Menschen zu einer ‚Geschlechtsumwandlung‘ zwingen würden. Ganz im Gegenteil geht es ja gerade um das Recht, frei von Zwängen, Gewalt und Diskriminierung zu leben und zu lieben.

Dafür ist es wichtig, Geschlecht auch als sozial hergestellte und individuell erlebte Kategorie anzuerkennen: Sexuelle Vorlieben können sich verändern im Laufe des Lebens, und die vielbeschworene Biologie schreibt die Menschen mitnichten auf zwei Geschlechter fest. Schon immer gab und gibt es Gesellschaften, die mehr als zwei Geschlechter kennen, und immer mehr Studien zeigen, dass es eine ganze Bandbreite an Geschlechtsvariationen gibt: Bei den Chromosomen, Hormonen, inneren und äußeren Geschlechtsorganen – überall gibt es mehr als zwei Varianten und unterschiedliche Kombinationen. Zudem wirken sich auch soziales Verhalten und Umwelteinflüsse auf biologische Faktoren aus und können bspw. hormonelle Veränderungen bewirken.

In der Praxis heiß das schlichtweg: Jede Person weiß selbst am besten, welches Geschlecht sie hat – und sollte daher auch das Recht haben, ihre Geschlechtsidentität selbst zu bestimmen.

06. These: Migration und der Islam bedrohen Errungenschaften der Frauen*bewegung in Europa.

Wer sagt denn sowas?

»In Österreich seien die Gleichberechtigung und das Selbstbestimmungsrecht der Frauen in einer langen und leidvollen Geschichte erkämpft worden. Deshalb könne man nicht dulden, dass das bisher erreichte durch arachaische Strukturen aus dem Orient gefährdet werde.« — Heinz-Christian Strache, Presseaussendung von 2006.

»Frauenhäuser in Sachsen zu Hälfte mit Muslima belegt – Europa hat nicht die Aufgabe, Aufklärung und Säkularisierung des rückständigen Islam voranzutreiben.« — André Wendt, AfD-Abgeordneter, AfD-Mitgliedermagazin Kompact, 2018.

Wieso ist die These falsch?

Zunächst fällt auf, dass die selbsternannten Verfechter der Frauen*emanzipation normalerweise nicht einmal entfernt mit feministischen Kämpfen und Errungenschaften in Verbindung gebracht werden. Hier werden Frauen*rechte gezielt in Stellung gebracht für pauschale rassistische Behauptungen: Wahlweise ‚der Islam‘, ‚die Migration‘ oder ‚der Orient‘ gefährden die Emanzipation von Frauen* in Europa. Fakt ist, dass feministische Kämpfe und Errungenschaften in Europa derzeit vor allem von Rechtsextremist*innen und Rechtspopulist*innen angegriffen werden.

Richtig ist auch, dass viele Frauen*, Lesben, Schwule, Trans*, Inter* und Queers aus Staaten fliehen, in denen sie aufgrund ihrer Geschlechtsidentität, ihres sexuellen Begehrens oder ihres politischen Aktivismus verfolgt werden – diese Menschen müssen u.a. Schutz durch Asyl bekommen. Frauen*, die ökonomisch abhängig sind, in beengten Wohnverhältnissen leben, einen unsicheren Aufenthaltsstatus haben oder rassistisch diskriminiert werden sind besonders häufig von sexualisierter Gewalt betroffen – es braucht daher Maßnahmen, die die Autonomie von Frauen* stärken, Zugänge zu Ressourcen und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Es braucht feministische Kämpfe, die intersektional und transnational sind, damit ein besseres Leben für alle möglich wird.

Das Bild des ‚übergriffigen Fremden‘ ist besonders wirkmächtig durch seine (neo)koloniale Kontinuität. Durch dieses Bild wird sexualisierte Gewalt in der ‚eigenen‘ Gesellschaft, und v.a. im sozialen Nahbereich – in dem die meisten Übergriffe stattfinden, und die in den seltensten Fällen angezeigt werden! – vollkommen unsichtbar gemacht. Das vermeintliche Engagement für Frauen*rechte und gegen sexualisierte Gewalt dient also einerseits dazu, Rassismus zu legitimieren, und hat andererseits zum Ziel, feministische Kämpfe gegen Sexismus zu delegitimieren.

07. These: Feminismus ist eine Erfindung der Juden.

Wer sagt denn sowas?

»Feminism is the cause of declining birth rates in the West, which acts as a scapegoat for mass immigration, and the root of all these problems is the Jew.« — Stephan B., Rechtsterroristischer Attentäter von Halle, 9. Oktober 2019.

Wieso ist die These falsch?

Antifeminismus und Antisemitismus weisen nicht nur inhaltliche und strukturelle Ähnlichkeiten auf, sondern sind auf sehr komplexe und vielfältige Weise miteinander verwoben, bedingen und verstärken sich gegenseitig. So sind auf der einen Seite die ‚Effemination‘ (lat. ‚Verweichlichung/Verweiblichung‘) von Juden und die ‚Sexualisierung‘ von Jüd*innen wichtige Bestandteile antisemitischer Denkmuster. In antifeministischen Diskursen wiederum werden vermeintliche ‚Strippenzieher‘ des ‚Genderismus‘ oft als jüdisch imaginiert.

Auffallend ist hierbei das Paradox der ‚Schwäche‘ auf der einen, und der ‚Übermacht‘ auf der anderen Seite: So zeichnen antifeministische Akteur*innen zwar häufig das Bild der ‚schwachen Frau*‘, hinter dem ‚Genderwahn‘ jedoch stehe eine wirtschaftlich und medial mächtige Elite, die im Verborgenen agiert und das ‚deutsche Volk‘ manipuliert, einschränkt, umerzieht und bedroht.

Um dieses antisemitische Feindbild zu bedienen, müssen Antifeminist*innen gar nicht explizit von ‚Jüd*innen‘ sprechen: Der moderne Antisemitismus bedient sich alternativer sprachlicher Codes, deren Bedeutungen von Rezipient*innen aus dem jeweiligen Kontext erschlossen werden können.

Die Tabuisierung von offen antisemitischen Äußerungen führt zudem dazu, dass antisemitische Akteur*innen sich vermehrt aus anderen Ideologien der Ungleichheit bedienen. Der ‚Genderismus‘ ist also ein wichtiger Baustein im antisemitischen Verschwörungsdenken, und ein antisemitisches Weltbild häufig Bestandteil antifeministischer Diskurse.

08. These: Gender ist ideologisch und unwissenschaftlich.

Wer sagt denn sowas?

»Eine groteske Ideologie breitetet sich in Deutschland aus. Sie behauptet, Geschlecht sei ein ‚Konstrukt‘, verdirbt die Sprache und frisst Steuergelder.« — Birgit Kelle: Gender mich nicht voll! In: Focus Magazin, Heft 10/2015 vom 28.02.2015.

Wieso ist die These falsch?

Der sogenannte ‚Antigenderismus‘ ist eine aktuelle Variante des Antifeminismus, der sich explizit gegen Gender Mainstreaming und Gender Studies richtet. Antigenderist*innen bezeichnen Gender als eine Ideologie, deren ‚politische Korrektheit‘ und ‚hidden agenda‘ entlarvt und bekämpft werden müsse. Sie behaupten, Gleichstellung und Antidiskriminierung seien nur vorgeschobene Ziele, in Wahrheit sei Gender Mainstreaming eine ‚staatliche Gehirnwäsche‘ mit dem Ziel der Zerstörung der Familie, des Christentums, der Natur, der westlichen Zivilisation. Hinter dem Kampf gegen ‚politische Korrektheit‘ steht die Strategie, die Grenzen des Sagbaren so zu erweitern, dass sexistische, rassistische und andere diskriminierende Aussagen gesellschaftlich akzeptiert(er) werden.

Den Gender Studies werfen antifeministische Akteur*innen vor, sie wären unwissenschaftlich. Fakt ist: ‚Gender‘ ist ein Begriff aus der Sozialforschung, der anerkennt, dass Menschen auch durch Sozialisation geprägt werden. Gerade diese in der Forschung vorgenommene analytische Trennung zwischen gender (soziale Rolle) und sex (biologische Zuschreibung) erlaubt es erst, Ideologien zu hinterfragen, die soziale Ungleichheit mit ‚natürlichen‘ Unterschieden legitimieren will. Es ist v.a. die kritische Frage nach den gesellschaftlichen Machtverhältnissen, die Antifeminist*innen unterschiedlicher Kontexte fürchten: Denn emanzipatorische Politik bedroht ihre jeweiligen Ordnungen, sei diese göttlich, biologisch, völkisch oder nationalistisch.

Die Reihe »Feminismus als Feindbild – Reaktionäre Argumente erkennen und entkräften« entstand in Zusammenarbeit mit Nina Kullrich. Nina ist promovierte Kultur- und Literaturwissenschaftlerin und arbeit als Bildungsreferentin in Hamburg.